Neues vom Stadtschreiber: Zum Unterricht in weiblichen Handarbeiten

Stadtschreiber
 

von Hans-Benno Hauf

Zum Unterricht in weiblichen Handarbeiten schlägt der Ginsheimer Bürgerverein dem „sämtlichen geehrten Ortsvorstande“ die Einrichtung einer Industrieschule[1] vor. Eine solche Unterrichtungsanstalt sei umso notwendiger und nützlicher, je mehr es den ländlichen Hausmüttern teils an Zeit und teils an Fähigkeit und Geschicklichkeit fehle, ihren Töchtern eine solche Unterweisung selbst zu erteilen.

Unterrichtet werden sollen zunächst das Stricken von Strümpfen, Socken, Handschuhen und „Leibwamschen“[2], dann das Nähen von Sacktüchern, Halstüchern und Bettwäsche, sowie das Flicken, Stopfen und Spinnen. Die Schule soll bestehen aus zwei Abteilungen. In der ersten finden Mädchen von zehn bis vierzehn Jahren Aufnahme, in der zweiten Abteilung Kinder von sechs bis 10 Jahren. Alle die Volksschule besuchenden Mädchen müssen mittwochs und samstags nachmittags auch die Industrieschule besuchen. Der Unterricht ist frei, lediglich das Arbeitsmaterial ist von zu Hause mitzubringen. Für die ärmeren Kinder hält die Schule auf Kosten der Gemeinde brauchbare Arbeitsstoffe, wollenes und baumwollenes Garn, Stricknadeln, Nähnadeln und Fingerhüte in einem Fundus vor.

Unwürdig und nicht zulässig ist bei Versäumnissen oder Verfehlungen eine körperliche Bestrafung. Andere Strafen werden von dem Ortsschulvorstand ausgesprochen. Die Industrieschullehrerin wird von der Gemeinde in Teilzeit[3] beschäftigt. Sie soll von „unbescholtenen Sitten“ sein und sich durch Sanftmut, Bescheidenheit und Freundlichkeit auszeichnen und den erforderlichen Unterricht auf leichte und verständliche Weise erteilen können. Der Ortsvorstand sorgt für den Unterrichtsraum und das Brennmaterial in den Wintermonaten.

Wann genau der Unterricht in weiblichen Handarbeiten auf das Gesuch des Bürgervereins vom 17. März 1849[4] begann, ist nicht bekannt. 1870 indes kann der Nachweis der Industrie- und Fortbildungsschule geführt werden. Und am 20. Januar 1882 beklagt die Großherzogliche Kreis-Schulkommission Groß-Gerau in einem Schreiben an die Bürgermeisterei Ginsheim, dass die Fortbildungsschüler nach dem Schluss ihres abendlichen Unterrichts beim Nachhause gehen in skandalöser Weise Unfug treiben und fordert den Bürgermeister auf,  dafür Sorge zu tragen, dass derartige Störungen nicht wieder vorkommen.



[1] Quelle: historisches Stadtarchiv Ginsheim-Gustavsburg im Heimatmuseum

[2] Wams, Vorläufer der Jacke, oft auch gestrickt

[3] „weil sie ihre ganze Zeit nicht auf den Unterricht zu verwenden hat, weshalb ihr auch genug Zeit zu anderweitigem Erwerb übrig bliebt“

[4] im Original unleserliche Ziffer, möglich 1849

 
Klassische Ansicht

Bitte wählen Sie Ihre Cookie-Präferenzen