Neues vom Stadtschreiber: Lobenswerthe That

Neues vom Stadtschreiber: Lobenswerthe That
 

von Hans-Benno Hauf

„Zu Ginsheim am Rhein, im Landrats-Bezirk Dornberg, hatten im gegenwärtigen Winter ungefähr fünfzig große und kleine Schiffe von Köln, Straßburg, aus Franken etc., meistens von Familien bewohnt, theils in dem dortigen Kanal zwischen besagtem Ort und der Langenaue[1], theils in dem sich in diesem Kanal ausmündenden Schwarzbach im Winterhalt gelegen. Am 1. dieses Monats um Mittag, setzte sich die Eisdecke des Kanals und zwar früher als die auf dem großen Rhein, was ein unerhörter Fall ist, in Bewegung. Das Kanal-Treibeis riß acht der dort vor Anker liegenden Schiffe mit sich fort und treib sie der noch feststehenden Eisdecke des großen Rheins entgegen. Mit der größten Wahrscheinlichkeit war zu befürchten, daß das Kanaleis, durch das Festeis im Abzug gehemmt, sich aufthürmen und die zwischen solchem und diesem steckenden Schiffe sammt ihren Bewohnern zerdrücken würde; doch glücklicherweise stellte sich das Treibeis wieder, und zur Rettung der eingesperrten in der größten Gefahr sich befindenden Schiffe und ihrer Bewohner, rief der brave Bürgermeister Reinheimer zu Ginsheim, sogleich durch die Sturmglocke die Einwohner Ginsheims zu Hilfe. Mit Lebensgefahr arbeiteten sich diese auf Nachen durch das Eis, empfiengen von den Schiffen die daran befestigten Tauen, an die sich sofort Hunderte von Menschen spannten und auf diese Weise mit der höchsten Anstrengung ein Schiff nach dem andern aus dem Eis an das Land zogen. Für die folgende Nacht waren zwar alle Vorsichtsmaaßregeln genommen, allein gleichwohl wurden während derselben abermals zwei von den Tags vorher geretteten, von Menschen nicht bewohnten Franken-Schiffen, vom Ufer losgerissen, und da mit dem grauenden Morgen des folgenden Tags das Eis auf dem großen Rhein  sich in Bewegung setzte, so geriethen diese zwei Schiffe von neuem in das Eis. Ihre Eigenthümer waren nicht einmal anwesend, inzwischen die Ginsheimer Einwohner sogleich einstimmig bereit, die Rettung der Schiffe aus dem Eis noch einmal zu wagen, was ihrem Muth und ihrer Entschlossenheit gleichfalls gelungen ist. Sie haben sich dadurch neben dem Dank der Geretteten und der vor Schaden bewahrten Schiffs-Eigenthümer, die gerechte Anerkennung ihrer Handlung von Seiten ihrer Mitbürger und der Staatsregierung erworben, und letztere findet sich dadurch veranlaßt, die Belobung ihrer Handlung öffentlich auszusprechen. Darmstadt am 5. Februar 1823“[2]  
                                    


[1] heute Altrhein

[2] veröffentlicht im Großherzoglich Hessischen Regierungsblatt Nr. 4, 1823

 
Klassische Ansicht

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