Neues vom Stadtschreiber: Eine fromme Ginsheimer Gemeindeschwester

 

von Hans-Benno Hauf

Die Blumenknospe
Bei der Morgensonne Licht hebt ein Blümchen sich und spricht:
„Liebe Sonne ich bin wach, sieh nach unterm Blätterdach.
Gib mit Kraft, aus der Haft mich zu heben stolz und frei,
dass ich stolz und glücklich sei!
Lass mich blühen duftend hold, warm bestrahlt von deinem Gold!
Und mit Pracht die Sonne lacht:
„Morgendüftchen bring geschwind Segen meinem Blumenkind,
dass als Wasserlilie groß, es sich hebt aus feuchtem Schoß“
Und jetzt nickt hochbeglückt rings umher die Lilienblüth,
von der Liebe Strahl beglüht,
von der Lieb, die auch belebt und des Menschen Herz erhebt.
Darmstadt, den 12. August 1864, Sophie Traupel.

Auf ein vergilbtes kleines loses Blatt geschrieben, liegt das Gedicht in einem Poesiealbum. Gut erhalten, mit Goldschnitt versehen, wird es nach dem Tod von Annemarie Hübner 2004 in der Ludwigstraße gefunden und dem Heimatmuseum übergeben. Die ursprüngliche Besitzerin ist zunächst unbekannt. Vom Anfang und umgedreht vom Ende her ist das Büchlein eng beschrieben. Nur im Anfangsteil gibt es Eintragungen von vier Geschwistern, der Taufpatin, Freundinnen und einer beruflichen Mitschwester. Diese Widmungen sind meist mit Familiennamen, Jahresdaten und Ortsangaben versehen. Fündig geworden in den Kirchenbüchern, entpuppt sich Sophie Traupel als Besitzerin. Geboren am 29.11.1844 in der Wilhelmstraße 2, hat sie sechs Geschwister, bleibt ledig, ist lange Gemeindeschwester in Ginsheim und stirbt hier am 13.04.1921.

Das Familienbild von 1872[1] zeigt ihre Eltern mit allen sieben erwachsenen Kindern. Sophie steht rechts in der hinteren Reihe. Der Vater, Johann Jost Traupel II, geboren in der Hauptstraße, ist Schuhmachermeister, die Mutter Barbara, eine geborene Amelung stammt aus Dornberg bei Groß-Gerau. Sophie Traupel schreibt fast dreißig Jahre in ihr Poesiealbum. Bei einigen Nachkommen der Familie Traupel ist ihre Redensart nach Einkäufen in Lebensmittelgeschäften noch heute überliefert: „Der Heiland bezahlt´s“. Eine niedrige Rente und großes Vertrauen in schwesterliche Nächstenliebe sind wohl die tiefe Überzeugung hierfür.

[1] heute im Archiv des Heimatmuseums

Text nach Dr. Hildegard Kastrup, bearbeitet von Hans-Benno Hauf

 
Klassische Ansicht

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