Neues vom Stadtschreiber: Ägyptische Finsternis und elektrisches Licht

Stromerzeugungsanlage
 

von Hans-Benno Hauf

Um die Jahreswende 1882/1883 herrscht eine „ägyptische Finsternis“1 und die Ginsheimer kämpfen gegen das schwerste Hochwasser aller Zeiten. Im Schein von Pechfackeln erhöhen alle verfügbaren Männer und Buben mit 1100 Sandsäcken den sechs Meter hohen Ortsdamm um fast 25 Zentimeter mit Hilfe aus Bauschheim, einer halben Kompanie 88er Infanteristen2 und einem Zug 11er Pioniere3. Die Fluten stehen überall schon an der Dammkrone und erreichen einen Pegel von 6,06 Meter4. In fast allen Häusern steht Wasser5, im Ort fährt man mit dem Nachen6. „Wir hatten noch keine Straßenbeleuchtung und selbst Sturmlaternen waren selten“, notiert Adam Hübner in seinen handschriftlichen Aufzeichnungen.

Die nächtliche Schwerstarbeit zwingen Bürgermeister Philipp Schneider VII7 und den Gemeinderat zum Handeln. Noch im gleichen Jahr werden vier Petroleumlampen zur Straßenbeleuchtung angeschafft. Vierundzwanzig Jahre lang betreut der Gänsehirt die nächtliche Erhellung8, bis die Brüder Heinrich und Georg Volz für elektrisches Licht sorgen. Ab Weihnachten 1907 wird es in Ginsheims Häusern und Straßen hell. In ihrem Elternhaus in der Rheinstraße 9 bauen die beiden Brüder im Hinterhaus ein Elektrizitätswerk9. In einem Generator wird Anthrazitkohle verkokst und somit Gas gewonnen, das durch Verbrennung einen Dynamo antreibt und Gleichstrom für die ersten siebzig Kunden liefert.

An Weihnachten, ein Jahr später, fällt die Volz'sche Stromerzeugungsanlage komplett aus. Die große Batterie zur Speicherung von überschüssigem Gleichstrom liefert nur kurze Zeit Strom ins Netz. Die Finsternis legt sich so lange wieder über Ginsheim, bis die Brüder in Tag- und Nachtarbeit die Maschine wieder in Gang bringen. Als dann die kleine Anlage nicht mehr ausreicht, beziehen die Gebrüder Volz Wechselstrom von der Stadt Mainz. Dafür wird 1910 vom Gustavsburger Kupferwerk her über das freie Feld eine Starkstromleitung (5000 Volt) in die Rheinstraße verlegt und dort auf 220 Volt transferiert. 1913 erweitern Heinrich und Georg Volz ihr Netz nach Bauschheim, der Beginn des ersten Weltkriegs verhindert den Ausbau und Anschluss von Astheim.
Bis 1956 bleibt die Firma Volz Betreiber des Ortsnetzes. Nach dessen Verkauf wird Ginsheim vom Überlandwerk Groß-Gerau10 und Gustavsburg von den Stadtwerken Mainz11 beleuchtet.

1 Otto Wenke, Allgemeine Zeitung Mainz
2 2. Nassauisches Infanterie-Regiment 88 Mainz
3 Hessisches Pionier-Bataillon Nr. 11 Mainz-Kastell
4 heutiger Pegel 8,06 Meter
5 Druck- und Quellwasser
6 Tagebuchnotizen des Dammwärters Häupt
7 geboren 30. 10.1821, gestorben 1903
8 Otto Wenke, Allgemeine Zeitung Mainz
9 Bild aus 1908, historisches Bildarchiv
10 heute Überlandwerk Groß-Gerau GmbH (ÜWG)
11 heute Mainzer Netze GmbH

 
Klassische Ansicht

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