Neues vom Stadtschreiber: Das Trojanische Meerpferd von Ginsheim

von Hans-Benno Hauf

1793. Französische Revolutionstruppen unter General Adam-Philippe de Custine halten Mainz besetzt. Deutsche Koalitionsheere belagern die Stadt. 

Die Inseln vor der Mainmündung im Rhein1, genannt  Kopf oder Haupt oder Dreimüllers Wärtchen, Bürgeraue, Bleiaue und Schönbergeraue, sind in französischer Hand. Preußische Soldaten liegen bei Ginsheim. Sie bauen am 29. Juni auf einem Prahm2 aus Floßholz eine schwimmende Batterie mit zwei Kanonen, um mit ihrer Hilfe den „Kopf“ zu erobern. Kaum im Strom  wird das Steuerruder zerschossen. Als Spielball der Strömung treibt das Gefährt unter dem Kommando von Major von Kaiserlingk3, besetzt mit  64 Mann bei Kastel ans Ufer. Johann Wolfgang von Goethe4   schreibt 18225 über seine Beobachtungen von der Weisenauer Schanze: „Auf einmal löste sich drüben auf dem rechten Ufer, zwischen Büschen und Bäumen, eine seltsame Maschine los; ein vierecktes, großes, von Balken gezimmertes Local schwamm daher, zu meiner  Freude zugleich, daß ich bei dieser wichtigen, so viel besprochenen Expedition Augenzeuge sein sollte. Meine Segenswünsche schienen jedoch nicht zu wirken, meine Hoffnung dauerte nicht lange: denn gar bald drehte die Masse sich auf sich selbst, man sah, daß sie keinem Steuerruder gehorchte, der Strom zog sie immer im Drehen mit sich fort. Auf der Rheinschanze oberhalb Kastel und vor derselben war alles in Bewegung, Hunderte von Franzosen rannten am Ufer aufwärts und verführten ein gewaltiges Jubelgeschrei, als dieses trojanische Meerpferd, fern von dem beabsichtigten Ziel der Landspitze, durch den einströmenden Main ergriffen und nun zwischen Rhein und Main gelassen und unaufhaltsam dahinfuhr. Endlich zog die Strömung diese unbehülfliche Maschine gegen Kastel, dort strandete sie unfern der Schiffbrücke auf einem flachen, noch vom Fluß überströmten Boden. Hier versammelte sich nun das sämtliche französische Kriegsvolk, und wie ich bisher mit meinem trefflichen Fernrohr das ganze Ereigniß auf´s genauste beobachtet, so sah ich nun auch, leider, die Fallthüre, die diesen Raum verschloß, niedersinken und die darin Versperrten heraus und in die Gefangenschaft wandern.“6

Quellen/Infos:
1heute nur noch die Bleiaue
2flache Fähre zum Transport von Menschen, Vieh und Lasten, schon seit römischer Zeit bekannt
3Die Blockade von Kassel, Brückenkopf von Mainz, während der Belagerung von Mainz 1793, von F. v. Stranz, Königl. Major, Zeitschrift für Kunst, Wissenschaft und Geschichte des Krieges, 22. Band, 4. – 6. Heft 1831
4kommt am 26. Mai durch Ginsheim, das „sehr zerschossen“ ist und auf die „Nonnenaue, wo viele Bäume niedergehauen lagen“
5Belagerung von Mainz
6entnommen aus „Untergang einer Reichshauptstadt“ Societätsverlag

 
Klassische Ansicht

Bitte wählen Sie Ihre Cookie-Präferenzen