Neues vom Stadtschreiber ... Das Ginsheimer Weistum von 1653

von Hans-Benno Hauf

Eine Zusammenfassung der ersten (2) Ginsheimer Gemeindeversammlung am 29.11.1653 (3)

Wenige Jahre nach Ende des Dreißigjährigen Krieges dokumentiert eine erhaltene Abschrift eines Protokolls eine erstaunlich genaue und umfangreiche Festlegung der Ordnung im Ginsheimer Gemeindeleben des 17. Jahrhunderts.

Im Namen der "Hochheiligen Dreyfaltigkeit" unter Nennung des "unüberwindlichsten romischen Kayßers" Ferdinand III (4) versammeln sich am 29.11.1653 vormittags um 10 Uhr in der "Behausung" des Ginsheimer Schultheiß Adolph Hermond Hunns (5) in der unteren Wohnstube mit Blick auf den Rhein (6) folgend genannte Personlichkeiten:

Ein "geschworener Kayßerlicher Notario" aus der fürstlichen Regierungskanzlei in Darmstadt, der Philipp Christoph Wannenmacher, gebürtig zu Friedberg in der Wetterau, mit den von ihm mitgebrachten glaubwürdigen Zeugen Wilhelm Schultheißen aus der Wetterau von Oberau bey Altstatt und Hanß Birdinger von Leutmaritz, der Schultheiß Huens mit den "jetzigen beeden Bürgermeistern" Nicolaus Voltz und Christian Becker, den sechs Ortsgerichtsschoffen Johannes Ebert, Martin Kirschner, Mathias Märtin, Wendel Laubenheimer, Hans Voltz und Clauß Traupel, der "Bittel", der wachsam zwischen den Fenstern steht und alle Gemeinsmänner "umzählt" und feststellt, dass alle Männer der Gemeinde "beysammen" sind, nämlich die Herren Hanß Schwartz, Georg Mäder, Wendel Traupel, Johann Schäfer, Philipp Orth, Johannes Haft, Wendel Haft, Nicolaus Rauch, Philipp Helsmann, Philipp Lahl, Wilhelm Orth, Friedrich Hübner, Hanß Bierbaum, Martin Horn, Claus Diefenbach, Philipp Rauch, Andreas Schwaab und Nicolaus Laubenheimer.

Es war ein außerordentlich wichtiger Vorgang in der Stube des Schultheißens. Das Dorf brauchte eine neue Satzung, eine neue Ordnung. Das hunderte Jahre alte Isenburgische Weistum war kaum noch leserlich, teils verfault, weil es in den Wirren des dreißigjährigen Krieges oft vergraben war.

Außerdem ist der lange vollzogene Herrschaftswechsel zum Landgrafen von Hessen-Darmstadt im Ortsrecht auch schriftlich festzuhalten. Die Kosten dafür zahlt die Gemeinde. Das Prozedere sieht vor, dass alle Regelungen ausführlichst vorgelesen werden und alle Anwesenden durch ihr Ja-Wort und beeidenden Handschlag Zustimmung anzeigen.

Alle erkennen an, dass nur die fürstliche Herrschaft der Landgrafen gebieten und verbieten kann. Der gnädige Fürst gebietet über Wasser und Weide, die Gemeinde hat den Gebrauch davon. Darum müssen Abgaben und Dienste geleistet werden. Von jedermann sind 3 Diensttage im Jahr (7) für den Fürsten abzuleisten, die der Gemeinde-Büttel ankündigt. Wer das versäumt, bekommt hohe Bußen auferlegt. 14 Schillinge kostet es ferner, unrechte Dinge zu verschweigen. Und wer den Anordnungen des Büttels zur Nachtruhe nicht nachkommt, bekommt die Buße des Fürsten auferlegt.

Besondere Weisungen erhalten die Handwerker. Wirte, Metzger, Bäcker und Hogker (8). Auch sie müssen Fürstendienste leisten. Ungerechte Maße oder Weinverfälschungen durch die Wirte konnen nicht nur vom Fürsten sondern auch von der Gemeinde bestraft werden. Wein darf nur von außerhalb gekauft werden, wenn kein Gemeinsmann im Ort mehr Wein zum Verkauf hat. Rot- und Weißwein darf nicht gemischt werden. Von dem Hof des Heilig-Geist-Spitals von Mayntz wird der 3-Tage-Dienst für den Fürsten gesondert verlangt. Wenn der Fürst den dritten Pfennig nimmt von der Gemeinde, dann soll ihn auch der Spitalhof zahlen, auch den dritten Teil vom Bred (9). Wenn der Fürst der Gemeinde Arbeitsleute schicke, dann sollte das Spital den 3. Mann dazu tun und den besolden.

Die "Frey Hofe" (10) erhalten Weisungen für die Viehhaltung. Sie dürfen zwar bis zu 300 Schafe halten, jedoch nur sechs Pferde, ein Fohlen, drei Kühe und ein Kalb. Halten sie mehr, dann darf die Gemeinde Buße von ihnen verlangen. Ebenso gilt dies, wenn die Hofhunde nicht "angeseilt" sind.

Die Hofleute sind verpflichtet, nur für ihren Herrn zu arbeiten. Außer der Pflege der Gärten und Felder ist es erforderlich, daß Grenzgräben, Bannzäune und Gassenwege instand gehalten werden. In Notfällen sind Wachdienste zu leisten. Dafür hat jeder dieser Hofe zwei Gewehre bereit zu halten. Flurzäune für das Vieh zum Beispiel auf den Brachflächen müssen ausbruchsicher sein. Für Schäden, das das Vieh anrichtet, muss Buße an die Gemeinde entrichtet werden. Die freien Hofe haben allein das Privileg ("Freyheit"), in ein Brachfeld zu säen, was kein Nachbar tun darf, der in der Dreifelderwirtschaft gebunden ist.

Ein gesondertes Kapitel des Weistums widmet sich den Aufgaben für die Zisterzienser-Nonnen des Altmünster-Klosters Mainz (11). Ihre Aue liegt "hinter unserem gnädigen Fürsten und Herrn". Ihnen ist auferlegt, um die Au Gräben wohl aufzuwerfen, "wie sich das gebühret". Sollten die Nonnen durch Mensch oder Vieh geschädigt werden, dann hatten sie das Recht, dies dem Schultheißen zu Ginßheim zu melden. Der hatte den Schaden zu schätzen und für den Fall, dass der Nonnen Gräben alle in Ordnung waren, auch zu ersetzen.

In herausgehobener Stellung befanden sich die Fährleute (Fergen). Sie unterstehen dem Fürsten und sind diesem abgabepflichtig. Nur sie dürfen Menschen über den Rhein fahren. Machen das andere und werden erwischt, konnen sie von den Fergen durch "Schiffung" (12) bestraft werden.

Wenn Menschen nach "Mayntz" gefahren werden und an einer bestimmten Stelle "ausschiffen" ist das nur in Ordnung, wenn die Fergen das tun. Vieh dürfen auch andere als die Fergen schiffen. Ist die "rechte Fahr" überschwemmt, kann ein "Floth-Schiff" gebaut werden, das direkt an der "Rheingaße" abfahren und mehr laden kann. Bei Hochwasser dürfen auch andere als die Fergen laden und "schiffen".

Breiten Raum nimmt die Beschreibung des Verlaufs der Ginsheimer Gemarkungsgrenzen ein.

Sie reicht von der Steinbrücke (13) über die großen Wiesen bis in die Hußlachen. Von dort mitten in den Rhein bis zum Ziegelofen, dann zur Straße zum Fahrweg, zur Grenzlache nach Kostheim und weiter zum Besitz des Hospitals zum Heiligen Kreutz Mainz. Von hier bis auf "die drey Morgen", die dem Junker Johann Molsberg gehoren. Weiter bis zum Weg nach Kostheim hin zum halben Morgen, der Junker Walther von Molsberg zu Eigen ist. Die Grenze folgt dem Kreuzweg, von dort zum Main, wo das Gebiet dem Hospital zu Mainz bis auf die Monchaue gehort. Teilweise sind sie auch heute noch geläufig, die Flurnamen "auf dem Haupt, Zütschlache, Fischwiesen, Kreuzlache, Martinsweiden, Stainsberger Weingarten, Elendswiesen, das Aigen". Vom Bauschheimer Creutz verläuft die Grenze wieder zurück bis zur Steinbrücke. Insgesamt sind 14 Grenzsteine erwähnt.

Nachdem dieses neue "Weisthumb" vorgelesen und notariell unter Zusage und Handgelobnis der Gerichts- und Gemeinmänner beglaubigt war, wurden die Gemeinsleute verabschiedet. Das neue Original-Dokument ward geschrieben auf fünf Blätter Pergament, mit einer grün-weißen Seidenschnur geheftet und mit dem Notariatssiegel versehen.

Anschließend tagte eine Gerichtsversammlung, in der nach Anhorung von Zeugen und Aussagen der Täter "strafbarer Händel" Rügen und Strafen ausgesprochen wurden.
Herzlich danke ich Frau Dr. Hildegard Kastrup, Ginsheim, für die Übertragung aus dem Original und Mitarbeit bei der Zusammenfassung.

Quellen:

1) Weistümer sind Rechtsquellen des Mittelalters, die durch eine Weisung zustande gekommen sind. Niederschrift einer Auskunft rechtskundiger Personen über einen bestehenden Rechtszustand in einer hierzu einberufenen Versammlung.
2) in Dokumenten nachgewiesenen Gemeindeversammlung
3) Quelle: Mainzer Vorortarchiv 07/0001, handschriftliche Abschrift des H. M. Welker, Amtsschreiber im fürstlichen Amt Kelsterbach
4) geboren 13.7.1608, gestorben 2.4.1657. Konig von Ungarn 1625, Konig von Bohmen 1627. Erbittertster Gegnern Wallensteins. 1636 zum Romischen Konig und im Februar 1637 zum Deutschen Kaiser gewählt. In der Zeit seiner Regentschaft wird der 30jährige Krieg durch den Westfälischen Frieden formell beendet.
5) Schreibweise nach L. Kakucs in "Das Leben in Ginsheim-Gustavsburg im Wandel der Zeit"
6) Es gab damals wohl nur sehr wenige Häuser zwischen Kirche und Schwarzbach, im Erdgeschoss mit Rheinblick
7) zum ersten am 18. Tage, zum zweiten Sonntag nach Ostern, zum dritten nach St. Johannes des Täufers
8) Schreibweise nicht gesichert, Bedeutung nicht bekannt
9) Bred: Fleisch? wie Wildbret = Fleisch vom Wild
10) Hofe von Adligen und Geistlichen
11) offensichtlich hatte das Kloster einen Teil der Aue gepachtet, denn erst am 27.06.1685 ist ein Kaufvertrag belegt (Staatsarchiv Darmstadt). Das Kloster wurde 1781 aufgelost.
12) Anlegestelle oder Stelle der Einschiffung, moglicherweise auch das Mitnehmen auf einem Schiff, hier Fähre. Bedeutung im Zusammenhang mit Strafe unklar.
13) wahrscheinlich gab es eine Steinbrücke über den unteren Schwarzbach

 
Klassische Ansicht

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