Neues vom Stadtschreiber ... Auf nach Mainz!

 

von Hans-Benno Hauf

"Aufgrund des mit der Gemeinde Ginsheim-Gustavsburg abgeschlossenen Vertrags werde ich am 1. Januar 1930 die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten von Ginsheim übernehmen. Der Übernahmeakt wird am 1. Januar 1930, vormittags gegen 12.30 Uhr, im Rathaus in Ginsheim stattfinden. Ich beehre mich, Sie hierzu ergebenst einzuladen. Mit vorzüglicher Hochachtung Dr. Külb."

Der Vertrag, unterzeichnet von dem Mainzer Oberbürgermeister und dem Bürgermeister Laun der Hessischen Bürgermeisterei Ginsheim am 06. November 1929, regelte nach langen Verhandlungen in 29 Paragrafen die Eingemeindung von Ginsheim-Gustavsburg in die Stadt Mainz. Die Verwaltung ging auf die Stadt über, die Grundbücher wurden übertragen, die Beamten, Angestellten und Arbeiter hatten über Nacht einen neuen Dienstherrn. Ginsheim-Gustavsburg wurde zu Stadtteilen Mainz-Ginsheim und Mainz-Gustavsburg.

Um die neuen Stadtbürger nicht schlechter zu stellen als bisher wurden teilweise recht lange Übergangsfristen ausgehandelt. So hatte die alte Ortsbausatzung und die Baupolizeiordnung, Grundsteuer, Gewerbesteuer, Sondergebäudesteuer und Hundesteuer bis 1939 vertraglich festgelegte Gültigkeit. Für Bedienstete in landwirtschaftlichen Betrieben durfte keine Hausangestelltensteuer erhoben werden. Ortsgericht und Standesämter blieben bestehen. Die Stationierung eines Baubeamten bis 31. März 1939 wurde bestimmt.

Ginsheim und Gustavsburg wurden je Standesamts- und Wohlfahrtsbezirken mit der Folge der Gleichstellung von Hilfsbedürftige den Bewohnern von Mainz (zum Beispiel bei der Aufnahme in die hierfür in Mainz bestehenden Anstalten). Der Bestand und die finanzielle Unterstützung der eigenständigen Feuerwehren in Ginsheim und Gustavsburg, wurden garantiert ebenso wie der Erhalt der Friedhofe und die bisher in der Gemeinde freie Leichenbestattung.

Hausschlachtungen waren vom Schlachthauszwang befreit, Faselhaltung und Fohlenweide und das Recht, das Vieh selbstständig zu kaufen, blieb erhalten. Die Gebührenerhebung- auch für die Gemeindewaage - durfte weiterhin erfolgen. In Gustavsburg sollte eine offentliche Waage aufgestellt werden. Regelungen zu Feldwegen, Flurgräben, Schrebergärten, Schädlingsbekämpfung, Obstversteigerungen, Ackerlandpacht fanden Eingang in den Vertrag. Vereinbart wurde auch, die Polizei nach dem Mainzer Vorbild einzurichten.

Nach der letzten Gemeinderatssitzung am 30.12.1929 bei Gastwirt Wilhelm Reinheimer in Ginsheim, Rheinstraße (heute Gasthaus Stadt Mainz).Um die Jahrhundertwende hatte sich die Arbeitersiedlung der ehemaligen Brückenbauanstalt von der Maschinenfabrik Klett & Co aus Nürnberg mit einer selbstbewussten Bürgerschaft zu einem Ortsteil entwickelt, der sich bald von Ginsheim losen wollte. Erste Signale dazu kamen aber nicht von Gustavsburg, sondern aus Mainz, wo sich der Verein Mainzer Kaufleute im Jahr 1896 schon im Mainzer Anzeiger für eine Eingemeindung von Kastel, Amoneburg, Kostheim und Gustavsburg stark machte. 1901 griff der neu gegründete Gustavsburger Bürgerverein die Initiative auf. Doch der Gemeinderat lehnte dies Begehren am 16. Juli 1902 rundweg ab. Im Bürgerbegehren stimmten daraufhin 227 von 228 für die Loslosung von Ginsheim, worauf das Kreisamt eingeschaltet wurde. Mit der Herausgabe von Argumentationsschriften, Broschüren und Petitionen versuchten beide Seiten die Abgeordneten in der Kommission der II. Ständekammer in Darmstadt für sich zu gewinnen. Im Sommer 1903 fiel dort die Entscheidung gegen den Gustavsburger Antrag.

Unter der Gewissheit, eine Loslosung Gustavsburgs oder eine Eingemeindung nach Mainz langfristig nicht verhindern zu konnen, beschloss der Gemeinderat am 14.11.1903 einen Vorschlag für die Einverleibung der Gemeinde und Gemarkung Ginsheimer Rheinauen nach Mainz. Nach dem Tod des Mainzer Oberbürgermeisters Gaßner im Jahr 1905 wurden die Verhandlungen nicht mehr weitergeführt.

Nach dem Weltkrieg war es wieder der Verein der Mainzer Kaufleute, der die Initiative der Eingemeindung ergriff. 607 Ja-Stimmen der Sozialdemokraten und 183 Stimmen der Zentrumspartei standen 191 Nein-Stimmen der Deutschen Volkspartei entgegen. Und auch die Ginsheimer Bevolkerung war mit der angestrebten Vereinigung einverstanden, versprach sie sich doch erhebliche Vorteile (u.a. Straßenbahnanschluss und Wohnungsbau). Franzosische Besatzung und Weltwirtschaftskrise waren 1919 wieder ein Hinderungsgrund bis 1924 der Mainzer Oberbürgermeister Dr. Külb wieder initiativ wurde. Am 28. September 1929 stimmten die Gemeinderatsmitglieder von Ginsheim-Gustavsburg mit 14 Ja und 3 Nein-Stimmen für die Eingemeindung, die im November vom Hessischen Landtag genehmigt wurde. Dabei wurde die Jakobsberger Au aus den Ginsheimer Rheinauen gelost und den Treburer Rheinauen zugeschlagen. Ab 01.01.1930 wurde in Ginsheim der bisherige Bürgermeister Peter Laun, in Gustavsburg der Beigeordnete Heinrich Rauch als Ortsvorsteher eingesetzt.(1)

Der Eingemeindungsvertrag (2) war das Ergebnis harter Verhandlungen. Jeder Stadtteil behielt seine Verwaltungsstelle und je eine Kommission zur Erleichterung der Verwaltung des eingemeindeten Gebiets, Beratung der Angelegenheiten und Aufgabenerledigung. Sie war besetzt mit dem Oberbürgermeister, dem Ortsvorsteher und 5 zum Stadtrat wählbaren Bewohnern. Die Kommissionsbesetzung war bis 31. 12.1949 festgeschrieben.

Die Stadt sagte eine Erweiterung des Ginsheimer Schulgebäudes zu, verpflichtete sich zur Wohnungsbauforderung und Darlehensgewährung. Da die Gemeinde Ginsheim-Gustavsburg bisher keine Anliegerkosten erhoben hatte, trat die Stadt in diese Regelung ein. Auch die alten Wohnungsmieten wurden garantiert und jeder in Ginsheim-Gustavsburg durfte weiterhin kostenlos Sand und Kies aus der bestehenden Sandgrube beziehen.

Mit allen geeigneten Mitteln versprach die Stadt die Bestrebungen zu unterstützen, die Öffnung des Altrheins zwecks Zufuhr frischen Wassers(3), den Ausbau der vorhandenen Strandbäder mit Aus- und Ankleideräumen zu fordern und den Landungsplatz in Ginsheim instandzuhalten und nach Bedarf zu erweitern. Für Grünanlagen und Spiel- und Sportplätze in einfacher Form sollte auch gesorgt werden.

Ginsheimer Strandbad 1933Ein wesentlicher Vertragsgegenstand war die Zusage der Stadt, die in Gustavsburg begonnene Kanalisation fortzusetzen und in Ginsheim spätestens innerhalb von fünf Jahren (ab 1934) in Angriff zu nehmen. Mit der Herstellung noch nicht ausgebauter Straßen sollte in Absprache mit der jeweiligen Stadtteilkommission begonnen werden.

Die Stadt garantierte den Erhalt und Ausbau der bestehenden ober- und unterirdischen Leitungen für Gas, Wasser und Heizung, Druckluft und Elektrizität und der Schienenanlagen. In Gustavsburg durften die Industrieabwässer weiterhin in den Kupfergraben (4) eingeleitet, Nutzwasser aus dem Rhein entnommen werden. Der Industrie war weiterhin erlaubt, im eigenen Betrieb Gas und elektrischen Strom zu erzeugen. Versprochen wurde, den Gustavsburger Hafen zu erhalten und nicht gegenüber den Mainzer Häfen zu benachteiligen.
Auf Stadtkosten sollte der Rheinhochwasserdamm von der Ginsheimer Landstraße bis zur Kreuzung der MAN-Gleisanlage in Gustavsburg alsbald gebaut werden.

Von hoher Bedeutung für die Ginsheim-Gustavsburger verpflichtete sich die Stadt eine Verkehrsverbindung (Straßenbahn oder Omnibus sowie erforderlichenfalls Schiff) herzustellen. Die Fahrt mit dem Bus von Ginsheim nach Kostheim und mit der Straßenbahn weiter nach Mainz kosteten 1930 tarifermäßigt 50 Reichspfennige.

Stadtbus nach Mainz, 1931Zu guter Letzt garantierte die Stadt die Tarife des zwischen der Gemeinde und der Firma Gebrüder Volz, Ginsheim, am 01. Januar 1928 abgeschlossenen Stromlieferungsvertrages für die Dauer der Laufzeit.
Als am 16. Oktober 1945 die amerikanische Militärregierung für Deutschland die AKK(5)-und Mainspitzgemeinden Hessen-Starkenburg zuwiesen war die Zugehorigkeit von Ginsheim und Gustavsburg als Stadtteile von Mainz kurzlebige Episode. Zwar gab es in Mainz in den 50er Jahren immer wieder Versuche, die Rückkehr der ehemaligen rechtsrheinischen Vororte auf die politischen Tagesordnungen zu setzen. Dem trat vor allem die Landeshauptstadt Wiesbaden entschieden entgegen.(6) Relikte aus der Zugehorigkeit zu Mainz sind der Verbleib der bis 1945 im Grundbuch von Mainz verzeichneten offentlichen Grundstücke und Gebäude der Ginsheimer Gemarkung. Eine harmonische Partnerschaft von Stadt und Gemeinde charakterisieren heute das offentliche Verhältnis.(7) Allseits gegenwärtig ist eine enge Verbundenheit der Ginsheim-Gustavsburger mit dem städtischen Nachbar. "Auf nach Mainz" heißt es noch heute, wenn es beispielweise zum Wochenmarkt, ins Theater, ins Konzert, zum Shoppen, in die Gastronomie oder mit den "Ginsemer" Schiffen(8) zum Rosenmontagszug geht.

 
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