Neues vom Stadtschreiber ... Ortsfunk lost Ortsdiener mit Schelle ab

von Hans-Benno Hauf 

In ihrer Sitzung am 19. Oktober 1951 beauftragte die Gemeindevertretung gemäß Vorschlag der Finanzkommission den Gemeindevorstand, unverbindliche Angebote bei der Firma Philipps sowie bei Mainzer und ortsansässigen Firmen zur Errichtung einer Ortsfunkanlage einzuholen. Die wesentlichsten Gründe für die beabsichtigte Einführung waren die Einsparung des Ortsdieners mit Schelle, dem Wegfall von schwarzen Brettern in der Gemeinde, amtlichen Bekanntmachungen in Zeitungen und Druckwerken. Und: modern sollte es werden, das Ginsheim in den Nachkriegsjahren.

Zwei Jahre später (1), am 6. November 1953, wurde die Ortsrufanlage offiziell in Betrieb genommen. Die Gemeindevertretung hatte die Errichtung der Anlage der Firma Philipps genehmigt. Siemens und Telefunken kamen mit ihrem Angebot nicht zum Zuge. Mit der Herstellung war die Arbeitsgemeinschaft Volz/Schwager/Itzel beauftragt (2). Herz der Anlage im Rathaus war eine 2-m Gestellverstärkerzentrale VE1736 mit Radioempfang, zwei Mikrofonen und Schallplattenspieler (3). Und so begann sie, die beschallte Zeit in den Ginsheimer Straßen (4), die nach und nach mit Lautsprechern an den Häusern oder Masten (5), zum Beispiel vor dem Kiesumschlageplatz Schrepfer im Bansen, ausgestattet wurden. Vor den Durchsagen wurde im Allgemeinen ein amtliches Signal (6) verwendet. Hin und wieder wurden zwei Schallplatten verwandt: der Marsch "Alte Kameraden" von Teike und die Polka "Schone Kathinka" von H. Kliment (7). Die GEMA-Gebühr für die Musik betrug zuletzt 39,31 DM. 

OrtsfunklautsprecherNeben amtlichen Bekanntmachungen machten Geschäftsleute mit Werbung regen Gebrauch von der Einrichtung (8). Dauergäste waren unter anderem das Lichtspielhaus Dauborn (9) und die Saalbaulichtspiele Ginsheim des Peter Thomas (10). Für Gustavsburger Geschäftsleute galt die für Ginsheimer ermäßigte Nutzungsgebühr (11). Sage und schreibe sechs Jahre (17.12.1959) nach Inbetriebnahme erteilte die Deutsche Bundespost der Gemeinde die Genehmigung für den Betrieb. Aber schon bald (04.03.1960) mahnte die Oberpostdirektion Frankfurt die Gemeindeverwaltung, den Ortsfunk nur für amtliche Mitteilungen in offentlichem Interesse, Feuer- und Katastrophenalarm zu nutzen, denn die private Wirtschaftswerbung sei unzulässig. Nun, die Mahner waren weit weg, denn noch acht weitere Jahre schallte es durch die Lautsprecher, wie zum Beispiel "bei Raab frische Fische eingetroffen!".

Am 8. Januar 1968 gab Bürgermeister Bender davon Kenntnis, dass die Ortsfunkanlage ab dem 1. Februar 1968 außer Betrieb genommen werde. Der ständig wachsende Verkehrslärm lasse einwandfreie Übertragungsmoglichkeiten nicht mehr zu. Der Ortsdiener mit Schelle wurde deswegen aber nicht mehr reaktiviert. 

Quellen:
1. Aktennotiz 1. Beigeordneter Bender vom 24.11.1953
2. Aktenvermerk 20.08.53
3. Nach Stilllegung sollte die Anlage in der Schule als Schulfunk anlage Verwendung finden. Bürgermeister Bender am 8.1.68
4. Aus der Akte der Gemeindeveraltung geht hervor, dass Lautsprecher der Ortsrufanlage installiert waren in den Straßen: Auf dem Wingert, Dammstr., Eisenmast Schrepfer Richtung Kirche, Elisabethenstr., Frankfurter Str., Friedrich-Ebert-Str.,Friedrichstr., Gartenstr., Gerhart-Hauptmann-Str., Goethestr.,Hauptstr., Immanuel-Kant-Str., Josef-Seliger-Str., Karl-Ulrich-Str., Lessingstr., Laubenheimer Str., Ludwigstr., Mainzer Str.,MAN-Siedlung, Neckarstr., Philipp-Rauch-Platz, Pflugstr., Rheinstr., Ringstr., Rüsselsheimer Str., Schillerstr., Schulstr., Stegstr., Waldstr., Wilhelmstr.. Mit Reparatur-/Instandhaltungsarbeiten waren die Firmen Otto Schmidt und Eugen Schwager beauftragt.
5. Im November 1958 wurde die Anlage mit Gittermasten (1050 kg) des Überlandwerk Mainz erweitert (Aktennotiz 02.03.1959)
6. Ein Nachweis hierzu konnte von mir nicht gefunden werden
7. Aktenvermerk Bürgermeister Wilhelm Bender vom 07.06.1960
8. 1959 sind Werbedurchsagen belegt für die Firmen Herbert Best, Rheinstraße 24, und Richard Raab, Mainzer Straße 12.
9. Jahrespauschalgebühr für wochentliche Durchsagen für das Lichtspielhaus Dauborn. Aktennotiz vom 19.11.1953
10. Am 16.12.1954 vergab der Gemeindevorstand die Genehmigung zu wochentlichen Durchsagen an Freitagen an die Saalbaulichtspiele Ginsheim Peter Thomas.
11. Gemeindevorstand 01.12.1953
12. Fotografiert am 3. November 2009 in der Elisabethenstraße. Er sollte als Zeugnis für den nun schon 46 Jahre stummen Ortsfunk erhalten werden.

 
Klassische Ansicht

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